Archiv der Kategorie: Kurzgeschichten

Zurück in die Evolution

(Diese Geschichte basiert auf dem Artikel Die menschliche Evolution und dem Satire-Text Erschreckend – Die Fachwelt ist Ratlos!)

Es begab sich zu jener Zeit im Raum, als die Gesellschaft ausschließlich auf Arbeit, Konsum und Social Media aufgebaut war. Momente, die der Einzelne mit der Familie verbringen konnte, waren außerhalb des Netzwerkes wenig bis kaum vorhanden. Dieser Zustand belastete die Gesellschaft sehr und so widmeten sich einige Wissenschaftler voll und ganz der Aufgabe, diese Lebensweise zum Besseren zu wandeln. Die Politik fand Gefallen an der Idee und setzte dieses Thema ganz oben auf ihre Agenda.

Es wurde von einer freien, einfacheren und bequemeren Welt gesprochen, in der die alltäglichen Sorgen der Vergangenheit angehörten. Ein vollendetes Glück des Lebens wurde angestrebt. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte man sich ganz auf die Macht der Gedanken konzentriert, da durch sie alles möglich zu sein schien. Aus dieser Tatsache heraus wurde die These aufgestellt, dass es nur in einer Welt, die sich komplett aus reinen Gedankenströmen zusammensetzt, möglich sei, das wahre Glück zu erleben. Die Chancen des Einzelnen, sich frei zu entfalten, um das Leben zu führen, was ihm vorschwebt, seien grenzenlos. Ein Professor arbeitete gemeinsam mit seinem Team seit Jahren daran, diese Idee zu realisieren. Doch dann kam es anders.

An einem Tag im Februar erlangte der Professor eine Erkenntnis, die die gesamte Forschung und ihre komplette Vorgehensweise verändern sollte. An jenem Tag ging der Professor früher nach Hause. Er hatte das dringende Bedürfnis, mit seiner Frau über diese Entdeckung persönlich zu sprechen. Schon in so manchen verzweifelten Situationen stand sie ihm mit einer hilfreichen Eingebung zur Seite.

Nachdem der Professor seinen Mantel ausgezogen hatte und ihn an die Garderobe hängte, nahm er sanft die Hand seiner Frau und ging mit ihr in den Wintergarten, wo sie sich in den Korbsessel setzte. Er selbst blieb stehen und schaute stumm durch die große Fensterfront hinaus in den Garten. Er beobachtete das Eichhörnchen, welches über den grünen Rasen hüpfte und setzte dabei seine Gedanken in eine erzählbare Reihenfolge. Nach etwa einer Minute drehte er sich um und schaute seiner Frau sorgenvoll in die Augen. Er begann die ersten Worte zu formen, doch kam sogleich ins Stocken. Er atmete tief durch und erklärte, dass man bei der Suche nach einem sorglosen Leben eine erschreckende Erkenntnis gewonnen habe. Eine Erkenntnis, wegen der man die gesamte Menschheitsgeschichte umschreiben müsste.

Mit angehaltenem Atem lauschte die Frau den detaillierten Ausführungen ihres Mannes. Dieser behauptete mit ernster Miene und leicht zittriger Stimme, dass das Leben, so wie sie es kennen, in Wirklichkeit gar nicht existieren würde. Es gäbe nichts, alles sei nur durch programmierte Eingebungen vorhanden. Das, an dem er und seine Mitarbeiter schon so lange gearbeitet hatten, gab es bereits, sie lebten in ihr, in einer künstlichen Welt, in der Cloud. Erhoffte man sich doch von ihr ein einfaches und bequemes Leben, nur leider schien nichts so wie es der Traum von einer Welt aus Gedanken versprach. Diese Tatsache, dass die Gesellschaft bereits in einer Cloud lebte, machte all die Bemühungen zunichte und ihre These stellte sich als völlig falsch heraus.

Die Frau senkte den Kopf, schaute an sich herunter, hob die Arme und verfolgte die Bewegungen mit den Augen. Sie stellte die Frage, ob das alles wirklich nicht echt sei, was sie hier sieht, in den Wintergarten hinein. Ihr Mann nickte stumm und sie murmelte, wie es denn sein könne, dass sie, wenn sie keinen realen Körper besitzt, Arthroseschmerzen, in den Knien verspüre? All das seien künstlich einprogrammierte Empfindungen, erklärte der Professor.

Nachdem die Frau ihren ersten Schock überwunden hatte, merkte sie voller Zuversicht an, dass es vielleicht doch eher eine positive, als eine negative Erkenntnis sei, denn er habe doch nur durch seine Forschung diese Feststellung gemacht und nun müsse er eben nach einem anderen Weg zum vollendeten Glück des Lebens suchen. Vielleicht liegt die wirkliche Freiheit in einem organischen biomechanischen Körper? So einen, von dem man immer dachte, dass ein Mensch diesen besitzen würde. Es müsse eine Möglichkeit gefunden werden, die eigenen Gedanken und Empfindungen aus der Cloud herauszuleiten, in einen Körper aus echter Materie. Es müsste alles aus der Cloud in eine reale Umgebung gedownloaded werden.

Die Frau erhob sich aus dem Sessel und ging zu ihrem Mann. Sie schaute sich erneut ihre Arme und Hände an, dann beobachtete sie ihren Gatten, wie dieser bereits wieder nach draußen blickte. Sie stellte sich neben ihn, nahm seine Hand und ohne weitere Worte zu wechseln, standen sie wie versteinert da, als seien sie abgestellt worden wie Roboter. Es wurde dunkel.

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Engelrevolution

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Es war einmal in der Krähengasse, in der die Anwohner friedlich, freundlich und freudig gemeinschaftlich lebten. Die Sorgen und Nöte des einzelnen wurden miteinander gelöst. Im Sommer traf man sich in den Gärten zum Grillen mit anschließendem Lagerfeuer. Die Wintermonate verbrachte die Gemeinschaft mit Spieleabende bei Ofenwärme und Kerzenschein. Man half sich gegenseitig bei der Instandhaltung der Häuser und den Außenanlagen. Wer krank war, dessen Familie wurde bei den Einkäufen und den anfallenden Hausarbeiten unterstützt.

Es war Anfang Juli und das alljährliche Sommerfest stand vor der Tür, welches immer am dritten Juliwochenende stattfand. Dieses Fest wurde von allen gemeinsam geplant und ausgerichtet. Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, dass es für alle Zeiten das letzte Sommerfest in der Krähengasse sein sollte.

Am dritten Wochenende im Juli zeigte sich die Sonne wie all die Jahre zuvor den gut gelaunten Bewohnern der Krähengasse bis in die späten Abendstunden freundlich. Am Freitag wurden die Tische und Bänke aufgebaut sowie die Grills im Wendehammer der Sackgasse aufgestellt. Die Carports wurden mit Girlanden und bunten Lichterketten geschmückt. Das Puppentheater für die Kleinen wurde vorbereitet, sowie die Spieleolympiade für die etwas Größeren hergerichtet, bei der neben weiteren Spielen die Hauptdisziplinen aus Sackhüpfen, Eierlaufen und das Schubkarrenrennen bestanden. Die frischen Lebensmittel wurden vom Markt besorgt und das vorbestellte Grillfleisch vom Schlachter abgeholt. Nudel-, Kartoffel-, Kraut- und grüner Salat wurden vorbereitet. Die Kinder tobten und liebten es, den Erwachsenen mal mehr, mal weniger bei den Vorbereitungen zu helfen.

Am Samstagabend, die Kleinen waren schon in ihren Betten, um sich von den Strapazen des Festtages zu erholen, erzählt E., dass die ganze Familie seit neuestem an Engeln glaubt und im Keller habe man einen Raum, in dem den Engeln gehuldigt wird. E., erklärte weiter, dass Engel die Welt erschaffen haben und diese nun vor allem Übel beschützen. Die Freunde lauschten mit offenen Augen und Mündern. »Oh, ja, das klingt glaubhaft, was du uns da erzählst.« Und drei weitere Familien bestätigten, dass auch sie den Englein in tiefster Demut ergeben sind, ja, dass die Engel mit ihnen kommunizieren und auch sie hätten ein Zimmer, welches sie als »Kirche der Engel«, bezeichneten.

Noch an jenem Abend verbreitete sich der Engelsglaube in der gesamten Krähengasse, bis auf wenige Ausnahmen, denn ein paar Familien waren diesem Glauben gegenüber skeptisch eingestellt. Doch sie schwiegen fürs erste.

Am darauffolgenden Tag gab es zum Abschluss des Sommerfestes die traditionelle Kaffeetafel. Neben den Torten und dem reichhaltigen Kuchenangebot stand in diesem Jahr sogar ein Eiswagen für die Kinder bereit. An diesem Tag gab es für die Bewohner der Krähengasse nur ein Thema – Die Engel. Es wurde in erster Linie darüber gesprochen, dass es ein Buch geben müsste, wo der Glaube an die Engel genau festgehalten, beziehungsweise wo ein einheitliches Verhalten im Glauben an die Engel aufgeführt sei. E. wurde auserwählt, dieses heilige Werk niederzuschreiben, da E., nach Ansicht der anderen, das meiste Wissen über Engel besaß. Der Straßenname sollte dann von »Krähengasse« in »Engelsgasse« umbenannt werden. Zudem sollte am Anfang der Straße jeweils zu beiden Seiten eine Engelsfigur aufgestellt werden. Die anfallenden Kosten würden dann von allen Anwohnern zu gleichen Teilen getragen werden.

Das wurde nun doch für die Skeptiker zu viel und T. meldete sich stellvertretend für die anderen zu Wort und widersprach diesem Vorhaben. Denn wenn überhaupt, dann sollte die Straße in »Teufelsgasse« umbenannt werden und zwei Teufelsstatuen sollten den Straßeneingang zieren. Es gäbe schließlich einige Familien, die so gar nicht an die Englein glauben wollten, sondern der Überzeugung waren, der wahre Glaube könne nur an den Teufel gerichtet werden. Denn schließlich war dieser es, der alles auf Erden geschaffen hat und letztendlich alles in die richtigen Bahnen lenkt. T. lud die Engler ein, sich den Teufelsschrein im Hause der Familie T. anzusehen. Als die Engler dessen Altar sahen, waren sie entsetzt und betrachteten diesen sprachlos.

Am späten Nachmittag fand der Rückbau der Festivitäten statt. Dieses verlief nicht wie gewohnt in der üblichen Heiterkeit, sondern es kristallisierten sich zwei Parteien heraus, von denen die einen plötzlich nicht mehr mit diesen oder jenen Anwohnern zusammenarbeiten wollten. Es wurde sich misstrauisch beobachtet und nur innerhalb der Gruppe getuschelt.

So sollte es auch von nun an in der Krähengasse weitergehen. Geholfen wurde sich nur noch untereinander in den Gruppen der Engler sowie der Teufler. Engler grüßten keine Teufler mehr und umgekehrt. Den Kindern wurde verboten, mit den Freunden aus der anderen Gruppierung zu spielen. Ja, geradezu gegeneinander aufgehetzt wurden sie, und es kam zu Prügeleien unter den Heranwachsenden, wo es zumeist darum ging, dass der eine Glaube der richtige und bessere sei als der andere.

Einige Familien hielten es nicht mehr aus und verließen ihre Häuser. Diese blieben nicht lange leer und jede Partei versuchte sofort die neuen Anwohner für sich und ihren Glauben zu gewinnen. Doch womit weder die Engler noch die Teufler gerechnet hatten, war die Tatsache, dass einige Neue ihren eigenen Glauben mitbrachten. Den Glauben an die Geister, bei dem es darum ging, dass aus den verstorbenen Ahnen das neue Leben entsteht und diese Vorfahren das Leben der Familien beschützen und dirigieren.

Es herrschte ein ständiges Ziehen und Zerren unter den Anwohnern, alle waren damit beschäftigt, die eine oder andere Familie auf ihre Seite zu bringen. Es gab keine anderen Themen mehr und Zeit für anderes war nicht mehr vorhanden. Keine Grill- oder Spieleabende mehr. Dringende Reparaturarbeiten an den Häusern wurden vernachlässigt und die Gärten verwilderten.

Es war ein regnerischer Sommertag zu dem sich ein starkes Gewitter gesellte. Früh wurde es dunkel und in den Häusern der Krähengasse blieben die Rollläden verschlossen … an diesem dritten Wochenende im Monat Juli.

Und die Moral von der Geschicht …
behalte und lebe deinen Glauben für dich.
Gehe nicht mit ihm hausieren,
sonst wird viel passieren.

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